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Recycling? – Ja, bitte, aber…

nachbarschafts- und umweltverträglich! (III)

 Beispiel Glasrecyclingwerk im Industriegebiet Holsteinstraße

„Wenn Scherben wirklich Glück bringen, hat Torsten Büge das große Los gezogen: Vor ihm türmen sich Berge aus weißen, grünen und braunen Glasscherben, Tonnen von Glück sozusagen, auf jeden Fall aber kein Abfall. Das zu betonen ist dem Diplomingenieur wichtig: "Glas ist ein Rohstoff, und ein ganz besonderer dazu. Das ist kein Müll." Für die Umwelt ist Glas tatsächlich ein Glücksgriff. Es lässt sich beliebig oft einschmelzen und wiederverwenden, ohne an Qualität einzubüßen.“ *

Quelle: https://www.stern.de/wirtschaft/muell/glasrecycling--ein-gluecksgriff-fuer-die-umwelt-7869528.html

Wiederverwertung von Glas ist eine sinnvolle Vorgehensweise. Glas in Müllbergen zu begraben wäre Verschwendung wertvoller Rohstoffe. So gesehen ist das 1994 errichtete und im Stern-Spezial (2018) beschriebene Werk eine lobenswerte Einrichtung.

Der ökonomische Standortfaktor ist klar definiert: Kürzeste Wege für An- und Abtransport der Güter. Im Fall der Recyclinganlage Holsteinstraße, Wahlstedt: Kreisstraße, Bundesstraße, Autobahn.

Die Belastung betroffener Wohngebiete ist für den Investor zunächst zweitrangig, wenn preiswerter Grund und Boden und gute Infrastruktur locken. Ausgewiesene Industriegebiete und Bebauungspläne haben die Aufgabe, für Umweltverträglichkeit zu sorgen.

Und generell gilt für gesetzlich geforderte Überprüfungen durch das Umweltamt ohnehin eine entsprechende Klassifizierung (sogenannte „IE“-Anlagen), die nach Aussage des Landesamts für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR, Herr Falk, 2002) für das Glasrecyclingwerk in der Holsteinstraße nicht erforderlich ist.

Betroffene Anwohner sehen das naturgemäß anders.

Welchen Gefährdungen/Belästigungen durch das Glasrecyclingwerk waren/sind Wahlstedter ausgesetzt?

  • Lärm (Glastransport bei An- und Abfuhr, beim Verladen, bei Bewegungen auf dem Betriebshof, beim Verarbeiten)
  • Staub (Glassplitter und -Scherben, Feinstaub)
  • Gerüche (Charakteristische Ausdünstungen aus Alkohol-, Getränke- und Speiseresten, Reinigungsmitteln und Vergorenem bei Haldenlagerung)
  • Lichtimmissionen bei Arbeiten nach Sonnenuntergang und nachts

Klagen seitens der Anwohner über solche Immissionen gab es häufiger.

Details über Auflagen für den Betreiber sind uns größtenteils nicht bekannt. Sicher ist aber, dass es seit Inbetriebnahme der Anlage in benachbarten Wohngebieten wiederholt Beschwerden über Immissionen gab, vor allem über Lärm.

„…Neben den telefonisch geschilderten nächtlichen Beeinträchtigungen müssen wir…auch den Tagesbetrieb akustisch miterleben und wissen dann, was geschüttet wird, wann gewogen wurde, wann Hämmer oder Stahlplatten knallen, ein Frontlader den Rückfahrwarner tönen lässt - Geräusche, die wahrscheinlich unter der 50dB-Marke liegen, aber die Lebensqualität und die Nutzung unseres Grundstücks/Wohnsitzes mindern. Manchmal denken wir sehnsüchtig an die Naturstimmen aus diesen Moorwiesen (z.B. Großer Brachvogel, Austernfischer, Rotbauchunke), die uns vor der Inbetriebnahme des Glasrecycling Nord 1994 erfreuten.“


Bericht von Anwohnern, August 2002.

Als ähnliche Meldungen bei der Stadt und dem Umweltamt (LLUR) über lange Zeit ins Leere gestoßen waren, nahmen technisch versierte Anwohner mit kalibrierten Messgeräten über einen längeren Zeitraum im Wohngebiet private Messungen im Juli und August 2002 vor und übermittelten die Ergebnisse an die Fachbehörden (z.B. 20.08.2002). Namen, Schriftverkehr und Messunterlagen liegen uns teilweise vor. **)

Ein Beispiel für Lärmmessungen vom 19. August 2002:

Messwert 1: 19.08.2019, 20:47 - 57,4 dB(A)

Messwert 2: 19.08.2019, 20:49 - 58,1 dB(A).

**) Schallpegelmessgerät 322 Datalog Version 0501 im Sekundenrhythmus nach der Norm dB(A) vom Stativ oder auf weicher Unterlage. Während der Aufnahme herrschte Windstille oder leichter Wind zwischen NO und SO, wie es bei Hochdrucklagen bei uns üblich ist.”

Zum Vergleich: Der zulässige Lärmpegel in reinen Wohngebieten beträgt 50dB(A) tags und 35dB(A) nachts (ab 22.00 Uhr). (Immissionsrichtwerte nach Nr. 6 TA Lärm)

Erst jetzt reagierte das LLUR, stellte eigene Ermittlungen an, bestätigte die unerlaubten Lärmpegel und ordnete  Nachbesserungen an. So wurde u.a. beanstandet, dass die Lärmschutztore des Hauptgebäudes nicht geschlossen waren. In der Folgezeit wurde es zunächst ruhiger.

Jedoch kam es zu neuen Klagen aus der Bevölkerung.


Insgesamt bleibt Glas als mineralische Substanz mehr oder weniger auf ewig stabil und verrottet daher quasi nicht.

In Ausschusssitzungen (2018 und 2019) hatten Bürger wiederholt beanstandet, dass die Glashalden auf dem Werksgelände über Jahre hinweg stetig wuchsen. Viele Pflanzen sprossen auf diesen Bergen und zerkleinerte Glaspartikel rutschten in größeren Mengen über die Mauern der Einfriedung ins umliegende Grünland. Der Stadt seien die Hände gebunden, da das Werk in der Gemarkung der Nachbargemeinde Fahrenkrug liege, hörte man aus dem Rathaus. Die wolle man aber mal informieren. Die riesigen Glasberge sind mittlerweile geschrumpft, und das Glas im umgebenden Grün wurde inzwischen teilweise entfernt.

In der Erörterung zur Erweiterung des Schrotthandels (Januar 2019), der dem Glasrecyclingwerk gegenüber liegt, kamen einzelne Klagen wieder zur Sprache. Erneut sei es über längere Zeit unzumutbar laut gewesen, erneut hätten die Tore – entgegen der Vorschrift – offen gestanden.

Auch gebe es in größerer Entfernung, noch in der Straße Im Holt und bis in die Neubaugebiete Im Eichengrund und Am Bucheneck, außergewöhnliche Mengen an Staubablagerungen und regelmäßige Geruchsbelästigungen. Diese Wohngebiete wurden inzwischen erweitert durch die Bebauung des Siedlungsgebiets „Tütenmoor“.

Dem (privaten) Immissionskataster der INITIATIVE WAHLSTEDT wurden ebenfalls derartige Meldungen übermittelt (Siehe: https://www.initiative-wahlstedt.de/meldungen-zum-immissionskataster/).

Welcher betroffene Bürger hat die Möglichkeiten (Zeit, Ausdauer, Ausrüstung, Fachkenntnisse und das Geld), sich regelmäßig wirksam vor solchen lästigen bzw. gesundheitsgefährdenden Vorkommnissen zu schützen? Er muss sich auf amtliche Kontrollen verlassen können.

Gab es infolge der Kritik grundlegende Konsequenzen? Weniger nächtlichen Betrieb, eingeschränkte nächtliche Beleuchtung, regelmäßige Lärmmessungen, Kontrollen des LLUR? Wir wissen es nicht.

Auch weitere  Fragen hinsichtlich des Immissionsschutzes bleiben offen:

Waren die Abluftauslässe der Absauganlage(n) durch Auflage mit Feinstaubfiltern auszustatten?

  • In diesem Zusammenhang wäre es widersinnig (für uns Bürger), Glaswolle nur in verschlossenen Säcken transportieren zu dürfen, wenn diese Anlage den zweifellos freigesetzten Glasstaub ungefiltert in die Umgebungsluft freisetzten dürfte.
  • Gleiches gilt im Prinzip für die freie Aufschüttung und Lagerung des Granulats im Außenbereich.

Waren die Abluftauslässe der Absauganlage(n) durch Auflage mit Schwingungsdämpfern auszustatten?

  • Für raumlufttechnische Anlagen im Innenbereich von Gebäuden sind diese z.B. vorgeschrieben, da es durch Turbulenzen in den Kanälen zu Schallresonanzüberhöhungen kommen kann. Sie sind bedingt durch die hohen Amplituden und andauernde Wiederkehr stark gesundheitsgefährdend.
  • Leider liegen die Frequenzen unterhalb von 10 Hertz und werden im Normalfall nicht gemessen, da der technische Aufwand (Infraschall) sehr komplex und “unverhältnismäßig kostenintensiv“wäre.
  • Ähnliche Schallereignisse ergeben sich durch hintereinander/parallel geschaltete Förderanlagen, bei denen es durch den Vibrationslärm der Antriebe und Förderstrecken ebenfalls zu Schallresonanzüberhöhungen kommen kann.
  • In beiden Fällen breitet sich der pulsierende Schall (Lärm) im Freiraum und im Boden aus.

Dennoch gilt:

"Glas …. lässt sich beliebig oft einschmelzen und wiederverwenden, ohne an Qualität einzubüßen. Kein anderes Verpackungsmaterial schafft das. Seit 1974 gibt es in Deutschland ein flächendeckendes Sammelsystem für Altglas, 250.000 Altglascontainer stehen in ganz Deutschland bereit für den ersten Schritt des Recyclingprozesses: den Einwurf durch die Endverbraucher. Für die Hütten, die daraus neue Flaschen und Gefäße gießen, ist das Recycling durchaus lukrativ, unter anderem auch deshalb, weil Glasscherben bei geringeren Temperaturen schmelzen als die ursprünglichen Rohstoffe Sand, Soda und Kalk. Pro Schmelzvorgang lassen sich bei Altglas etliche Grad Celsius einsparen - und damit Energie.“


(Stern-Spezial, 2018)

Wie aber könnten Menschen vor Immissionen aus umgebenden Betrieben noch besser geschützt werden?

  • Kontrollinstanzen und Ansprechpartner müssen bekannt sein.
  • Kontrollmessungen müssen den tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten angepasst sein.
  • Kontrollen müssen intensiviert werden

Überprüfungen sollten unter Voll-Last aller Betriebsbereiche stattfinden und unter Berücksichtigung idealer Messpunkte und realistischen, variablen Wetterlagen.

Bei Staubmessungen halten wir es für sinnvoll, dass diese nicht nur in Schornsteinnähe und beschränkt auf Allgemeinstaub erfolgen. Sie sollten auch an anderen Entstehungsorten des Werks erfolgen, wo Material bewegt/bearbeitet wird (Umlade-, Verladeprozesse). Es sollten auch betriebsspezifische gesundheitsrelevante Stäube und Feinstäube ermittelt werden.

Unsere Gesundheit hat Vorrang.

Folgerungen aufgrund unserer Erfahrungen:

  • Strenge Grenzwerte einhalten und engmaschige Kontrollen vornehmen,
  • unangekündigte Überprüfungen durchführen,
  • zeitnahe Androhung von Bußgeldern,
  • Androhen von Neubewertung/Stillegung zum Schutz der Bevölkerung.

Möglicher Nebeneffekt: Im Industrieland Bundesrepublik Deutschland könnten auf diese Weise auch viele neue Arbeitsplätze entstehen, Krankenkassen würden entlastet und weniger Arbeitskräfte müssten vorzeitig aus gesundheitlichen Gründen in Rente gehen!

Albert Holm

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